Die Geburtsstunde
Schon bald nach der Ankunft der ersten „neufundländischen Hunde“ in England und Schottland wurde durch Einkreuzung schwarzer Irischer Setter ein langhaariger, kräftig drahtiger Hundetyp erreicht, den man Wavy Coated Retriever nannte. Er trat überwiegend mit tiefschwarzer Fellfärbung auf, gelegentlich fielen aber auch gelbe und braune Welpen.
Wie der St-John’s Hund, so war auch der Wavy Coated ausgesprochen wasserfeudig und hatte einen ausgeprägten Bringtrieb. Freilich gab es vor Ort noch weitere wasserbegeisterte, tatkräftige Hunde mit wetterbeständigem Haarkleid, den Tweed Water Spaniel etwa. So war es nur noch eine Frage der Zeit bis schließlich beide Rassen zusammenfanden. Als zu guter Letzt Nous, der apportierfreudige dunkelgelbe Wavy Coated-Rüde mit Belle, einer überaus freundlichen Water Spaniel-Hündin, verpaart wurde, war sie gekommen:
Die Geburtsstunde des Golden Retrievers
Es war im Jahre 1865. Die vier Hündinnen, die am 4. September des folgenden Jahres auf seinem Gut (Lord Tweedmouth) in Schottland das Licht der Welt erblickten, wurden zu Stammmüttern, aus denen er durch sorgfältige Einkreuzung einiger anderer Rassen letztlich einen Hund entwickelte, der nicht nur beneidenswert schön war, sondern auch ausdauernd arbeiten und wittern konnte – an Land wie im Wasser übrigens, denn sein Haarkleid war schmutzabweisend und wasserfest.
Ein Hund, dem eine steile Karriere beschieden sein sollte, als Jagdgehilfe ebenso wie als Familienbegleiter und professioneller Helfer in den unterschiedlichsten Bereichen – weltweit.
Umwerfend schön
Anmutig, warmherzig und hingebungsvoll, so wirken Golden Retriever, die liebenswerten flauschigen Schönheiten mit den geschmeidigen Bewegungen, deren bezaubernder Ausstrahlung schon so mancher Zweibeiner hoffnungslos erlegen ist – und die ihn überdies glauben machen wollte, diese Hunde seien bloße Schönlinge, als Paradekissen fürs Sofa gedacht.
Ein großer Irrtum, denn die meisten Golden Retriever sind mit Herz und Seele jagdsportlich ambitioniert. Vor allem Apportieren ist ihre große Leidenschaft. Selten, dass sie kein Bringsel zwischen ihren Kiefern präsentieren. Wenn sie sich freuen, uns eindringlich ihre Aufwartung machen: Ein Apportel ist immer dabei, ebenso ein überschwänglicher Rutentumult und die sehnsüchtig auffordernde Bitte: „Arbeite was mit mir!“
Wen wundert’s? Auch bei ihnen haben die St. John’s-Hunde ordentlich mitgemischt.
Wie der Labrador, so ist auch der Golden Retriever ein extrem vielseitiger Hund, mit bewundernswertem Leistungsvermögen auf dem Gebiet des Rettungshundewesens, im Dienst als Blindenführ-, Behindertenbegleit- und Therapiehund, als Drogenspür-, oder zum Beispiel Sprengstoffsuchhund. Aber wie jener braucht auch er genügend rassegerechte Ausgleichbeschäftigungen und die richtige Ansprache. Denn in dieser einzigartigen Beziehung, die man sich erfüllender kaum vorstellen kann, ist der Mensch nicht selten geneigt, den falschen Ton zu wählen und dies in zweifacher Weise:
Der Golden Retriever ist nicht nur ein Kuscheltier. Dieser Hund, so teddybärengleich er auch aussehen mag, ist und bleibt ein äußerst arbeitsbeflissener, empfindsamer Vierbeiner mit definierten Ansprüchen an seine Besitzer und mit zahlreichen hundlichen Bedürfnissen, die diese täglich aufs Neue befriedigen müssen.
Dieser begehrenswerte Retriever, der durch sein umgängliches Wesen, seine Zuverlässigkeit und rührende Hingabe besticht, ist aber genauso wenig ein pures Arbeits- oder Sportgerät, das unangepasst behandelt oder gar mit rigiden Methoden ausgebildet werden darf.
Obgleich der Golden für ein „trautes“ Zusammensein mit seinem zweibeinigen Rudel einiges an Negativerfahrungen auszuhalten bereit ist, sind doch seine überströmende Geduld und hochachtungsvoll ehrfürchtigen „Dankesbeziehungen“ nicht uferlos, können es nicht sein. Gewaltfreier Umgang und faires Training bewähren sich daher – nicht nur bei diesem Hund – um Längen besser.
Ein Goldstück, dieser Retriever
Tief dunkelgold gefärbt, so liebte man die apportierfreudigen Vierbeiner in ihrer Entstehungszeit. Allmählich jedoch setzten sich immer hellere auch Cremefärbungen durch, besonders bei Retrievern, die als reine Familienhunde gehalten wurden.
Heute ist das wundervoll schimmernde Kupferrot nahezu vollständig aus dem Golden-Linien verschwunden. Dafür strahlen die Goldis jetzt häufig in makellosem Weiß. Mit lackschwarzem Nasenschwamm, ein fast ebenso verführerischer Anblick.
„Ein Hund im Haus hat etwas Verführerisches: Nur zu leicht ist ein Mensch geneigt zu vergessen, dass sein Hund immer und vor allem ein Hund ist“ (Eric H.W. Aldigton in: „Über die Seele des Hunde“)